Achtung Kulturgrenze
Neben dem Rösti- und dem Stadt-Land-Graben verblasst eine alte Ost-West-Grenze, die vom Brünig über den Napf in den Aargau führt. Wie kam sie zustande, was bewirkte sie? Eine Gratwanderung, selbst im Flachland. Brennpunkt: Beromünster LU / Reinach AG.
Entlebuch und Emmental – Prägekraft der Konfessionen
Am Napf scheiden sich die Bräuche
Lauter Randnotizen? Richard Weiss (1907–1962), ein Pionier der Volkskunde, der auch international Massstäbe setzte, empfahl, «gelegentlich vom hohen Balkon des historisch-politischen Welttheaters und der Höhenschau geistesgeschichtlicher Systeme herabzusteigen und geduldig den unscheinbaren Unterbau des Kulturgefüges abzutasten».
Sein Wort in unser Ohr. Dennoch: Vorsicht. Annebäbi Jowäger wäre heute rund zweihundert Jahre alt. Ebenso weit zurück datiert der zitierte Bericht aus dem Entlebuch. Die Angaben zu den Winterbräuchen beidseits des Napfs betreffen die Generationen vor dem Zweiten Weltkrieg. Die Zeiten ändern sich, und wir mit ihnen. Alles ist Zeitzeichen und im jeweiligen Kontext zu begreifen. Das Urgesetz historischer Betrachtungen. – Vorwärts, in der Ferne sind schon zwei rote Turmhauben zu erkennen.
St. Urban – triumphale Inszenierung
Beromünster – ähnlich wie St. Urban, nur ganz anders
Rundflug – bitte einsteigen!
Beromünster, Stiftsbezirk. Die Vogelschau von Ost nach West verschafft einen günstigen Überblick über den imposanten Kranz von Gebäuden und seinen strahlenden Mittelpunkt. Josef Ehrler / Schweizerisches Nationalmuseum
Festfreude, Kult, Religion für alle Sinne
Auffahrts-Umritt in Beromünster. Zeitzeichen aus dem Jahr 1968. Seit fünf Uhr morgens sind die Gläubigen unterwegs. Am Mittag umfasst die Prozession etwa zweitausend Personen. Der Stiftungsakt von 1509 nennt als Zweck «die Segnung der Äcker und Feldfrüchte». SRF Archiv
«Sich abwenden von papstlicher gewalt»


Zwei Kanzeln – Tag und Nacht


Hüben, drüben – zweierlei Adel
Eine Chorherrenpfründe bringt damals etwa das Drei- bis Fünffache einer einfacheren Pfarrpfründe ein, namentlich aus Zehnten. Davon profitiert auch die Verwandtschaft. Was Wunder, dass sich die kirchlichen Zehntbezüger vehement gegen eine Agrarreform wehren, wie sie von den jungen Luzerner Aufklärern im 18. Jahrhundert gefordert wird. Ein damaliger Insider bezeugt, man habe «eine fette Würde in Beromünster», wobei die meisten Chorherren ihre Einkünfte zu allem Möglichen benutzten, aber kaum «wozu sie gestiftet worden».


Wirtschaftsgrenze? Fehlanzeige
Stöck, Wyys, Stich
Brugg – Zentrum des «Pufferstaats» Aargau
«Vorbei ist die Musike? Noch aus der Ferne tönt es schwach?»
Vorbei die Zeit, da in Reinach ein katholischer Bräutigam als «papist» verrufen wurde, umgekehrt in Beromünster eine reformierte Braut als «kätzers wyp». Längst hat die Erosion des Religiösen eingesetzt, die Mobilität viele Bindungen gelockert, der globale Siegeszug von McDonalds den «katholischen Gust» überlagert.
Allerdings meinte ein Aargauer Landammann jüngst in einer launigen Ansprache, im Luzernischen gehe es selbst an einem Leichenmöhli fröhlicher zu als im Aargau an der Fastnacht. Niemand wird dieses Bonmot zum Nennwert nehmen. Solche Äusserungen und ähnliche Befunde werfen aber noch heute ein Licht auf den «Untergrund des Kulturgefüges».


