Der Kalte Krieg wurde nicht nur territorial und militärisch, sondern auch kulturell geführt.
Der Kalte Krieg wurde nicht nur territorial und militärisch, sondern auch kulturell geführt. Wikimedia

Kultur im Kalten Krieg

Der Ost-West-Gegensatz und die Angst vor dem Kommunismus prägten in den Jahrzehnten des Kalten Krieges die Gesellschaft und machten auch vor der Kultur nicht Halt.

Dominik Landwehr

Dominik Landwehr

Dominik Landwehr ist Kultur- und Medienwissenschafter und lebt in Zürich.

In den langen Jahrzehnten des Kalten Krieges zwischen 1945 und 1989 war immer klar, woher das Böse kam: Aus dem Osten. Aus der Sowjetunion, aus Russland oder aus den osteuropäischen Satellitenstaaten namentlich der DDR. In Romanen und Filmen jener Zeit wurde das konsequent durchgespielt, angefangen vom Klassiker «Der Dritte Mann» von 1950 über den «Spion, der aus der Kälte kam» von 1965 bis zum U-Boot Thriller «Die Jagd nach dem Roten Oktober» von Tom Clancy aus dem Jahr 1984 und der Verfilmung von 1990.
Trailer des Kinofilms «Die Jagd nach dem Roten Oktober». YouTube
In Literatur und Film ging es um die Angst vor einer Invasion und dem Einsatz von Nuklearwaffen aber auch um die Angst vor einer psychologischen Beeinflussung oder noch schlimmer einer kompletten Vereinnahmung der Gedanken durch den Kommunismus. Gehirnwäsche war das Stichwort und genau darum geht es im Roman «The Manchurian Candidate» von 1959, der 1962 auch als Film herauskam: Ein amerikanischer Offizier wird im Koreakrieg von einem sowjetischen Kommando gefangen und mit einer Gehirnwäsche zum Kommunisten «umgedreht». Verschwörungstheorien spielten in den Vorstellungen jener Zeit eine wichtige Rolle. Der Schweizer Historiker Jean-Rudolf von Salis (1901–1996) sprach von einer Angstpsychose: «Es gibt Leute, die in einer harmlosen Konsumgenossenschaft eine bolschewistische Verschwörung wittern.» Der feste Glaube an die Möglichkeit, mit psychologischen Mitteln Einfluss nehmen zu können war ein entscheidendes Moment im Kalten Krieg. Herzen und Köpfe gewinnen – das Motto der psychologischen Kriegsführung – wurde tatsächlich auch praktiziert. So hat der amerikanische Geheimdienst CIA nach dem Zweiten Weltkrieg eine grosse Propaganda-Operation gestartet: Die Rede ist vom Kongress für kulturelle Freiheit (Congress for Cultural Freedom, CCF).
Filmtrailer mit Frank Sinatra. YouTube
Der Kongress für kulturelle Freiheit finanzierte von 1950 bis 1969 linksliberale Künstler wie Heinrich Böll (1917–1985)  und Siegfried Lenz (1926–2014) , dazu intellektuelle Zeitschriften wie «Der Monat» in Deutschland, «Preuves» in Frankreich und «Tempo Presente» in Italien und unterstützte damit auch indirekt die abstrakte Kunstrichtung, die in diesen Jahrzehnten populärer wurde. Auch der Schweizer Schriftsteller Max Frisch (1911–1991) profitierte von diesen Fördermitteln. Während eines Forschungsjahrs 1951 in New York arbeitete er am Roman «Stiller». Die Mittel für diesen Aufenthalt kamen von der Rockefeller Foundation, die ebenfalls vom CIA finanziert wurde.  Das Konzept der psychologischen Kriegsführung mit Hilfe von kulturellen Produktionen gibt es auch heute noch – es wird unter dem Namen Soft Power diskutiert.
Porträt von Max Frisch, 1990.
Porträt von Max Frisch, 1990. Schweizerisches Nationalmuseum / ASL
Wirtschaftlich setzte auch in der Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg ein Aufbruch ein, mental war das Land aber in der Ideologie der Geistigen Landesverteidigung des Krieges gefangen. Der Feind war nun der Kommunismus. Die Stimmung jener Zeit war aufgeladen, aus heutiger Sicht fast schon hysterisch. Der Antikommunismus überstieg demokratische Kritik und hatte etwas Kultisches: Der Dramatiker Friedrich Dürrenmatt (1921–1990) nannte es den «Stammestanz der Schweizer». Das zeigt sich auch in der Expo 64 in Lausanne, deren Symbol ein Pavillon mit Stacheln war: Zum Expo-Programm gehörte auch eine grosse Waffenschau der Schweizer Armee.
Der Hauptpavillon der Expo 64 in Lausanne in der Form eines Igels.
Der Hauptpavillon der Expo 64 in Lausanne in der Form eines Igels: Die Landesausstellung war stark vom Geist des Kalten Krieges und von der Geistigen Landesverteidigung geprägt. Schweizerisches Nationalmuseum
Friedrich Dürrenmatts Drama «Die Physiker» aus dem Jahr 1961 greift die Stimmung jener Jahre in einer Groteske auf: Drei Physiker sitzen zusammen in einer Irrenanstalt. Einer von ihnen ist im Besitz einer Entdeckung, welche die Welt zerstören könnte. Die beiden anderen sind in Wirklichkeit Agenten fremder Staaten, die das Geheimnis stehlen wollen. Das Drama erlebte am 21.Februar 1962 am Zürcher Schauspielhaus seine Uraufführung und war in den 1960er-Jahren das meistgespielten Theaterstück im deutschsprachigen Raum. Eine wichtige Stimme in jenen Jahren war auch der Schriftsteller Walter Matthias Diggelmann (1927–1979). Im Roman «Das Verhör des Harry Wind» porträtierte er einen skrupellosen Kommunikationsberater, dessen Vorbild der Zürcher PR-Spezialist Rudolf Farner war. Im Buch «Das Vermächtnis» geht es unter anderem um die Hetzkampagne gegen den kommunistischen Kunsthistoriker Konrad Farner (1903–1974): Bürgerliche Zeitungen veröffentlichten nach dem Ungarn-Aufstand 1956 seine Adresse in Thalwil, worauf seine Familie Morddrohungen erhielt und vor seinem Haus Protestkundgebungen stattfanden und Scheiben eingeworfen wurden.
Studentenprotest gegen den sowjetischen Einmarsch 1956.
Der Ungarn-Aufstand von 1956 war auch für die Schweiz ein prägendes Ereignis. An verschiedenen Orten fanden Solidaritätskundgebungen statt und Hilfsgüter wurden nach Ungarn geschickt. Die Schweiz nahm damals Tausende von Flüchtlingen auf. Schweizerisches Nationalmuseum / ASL
Einer der wichtigsten Kritiker der Sowjetunion und des Kommunismus war der Russe Alexander Solschenizyn (1918–2008), Verfasser des «Archipel Gulag». Nach seiner Ausbürgerung im Jahr 1974 lebte er für zwei Jahre in der Schweiz als Gast des Zürcher Stadtpräsidenten Sigmund Widmer. Um ihn vor Neugierigen zu schützen, überliess ihm der Stadtpräsident sein Ferienhaus in Sternenberg im Zürcher Oberland. Später stellte sich heraus, dass die Sekretärin, die man für ihn engagiert hatte, für den KGB arbeitete. Solschenizyn verliess die Schweiz 1976 und ging nach Vermont in den USA.
Ankunft von Alexander Solschenizyn 1974 in Zürich.
Ankunft von Alexander Solschenizyn 1974 in Zürich. Schweizerisches Nationalmuseum / ASL
Die Bücher von Alexander Solschenizyn erreichten in der Schweiz hohe Verkaufszahlen – das hat nicht nur mit dem Geist des Antikommunismus zu tun, sondern auch mit dem generellen Interesse an Russland. Reisen «in den Ostblock», wie man sagte, waren während Jahrzehnten tabu. Umso grösser war dann der Erfolg, als der Reisepionier Hans Imholz Ende der 1960er-Jahre für einen Spottpreis Städteflüge nach Moskau und Budapest anbot, dies neben zahlreichen weiteren Reisen in europäische Hauptstädte. Hier konnten reiselustige Schweizer erstmals einen Blick hinter den «eisernen Vorhang» werfen. Es sollte aber noch einmal 20 Jahre dauern, bis dieser Vorhang fiel.

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