
Lieben Sie Barock?
Hier geht‘s zum Gratis-Test. Als Prüfbeispiel dient die Wallfahrtskirche Hergiswald am Fuss des Pilatus, eine bildgewaltige Inszenierung der Bibel aus barocker Zeit, um 1650. Was löst dieser kulturgeschichtliche Kosmos bei Ihnen aus?
Starker Auftritt
Eintauchen in eine andere Welt
Das gesamte Konzept, theologisch, dramaturgisch, architektonisch, stammt vom Luzerner Kapuzinerpater Ludwig von Wyl (1594–1663). Realisiert wird es, volkstümlich, virtuos, übersteigert, vom Holzbildhauer Hans Ulrich Räber, auch er Luzerner, dazu von Kaspar Meglinger, dem Maler des Luzerner Totentanzes auf der Spreuerbrücke. Drei Meister zur gleichen Zeit am gleichen Ort, und die Zusammenarbeit befeuert. Ein Glücksfall.
Bis zum Äussersten
Mehr Blut geht nicht. Von Armen, Beinen, der geöffneten Seite des Gekreuzigten hängt es in Strängen herab. Genug ist im Barock nie genug. Von einem zweiten Gekreuzigten, auf der Rückseite desselben Kreuzes, gehen von den Wundmalen drei rote Schnüre weg, als Blutströme, quer durch den Raum, zur Statue des Franz von Assisi, der die Wundmale empfängt: Auszeichnung eines Heiligen. All das spielt sich nicht im Kopf ab, sondern wird sinnlich wahrnehmbar. Stränge, blutrot.
Der erhobene Zeigefinger
Lebenswelt vor vierhundert Jahren
Illusionen
Ultimative Dramatik
Wenn die leichteren Sünden im Fegefeuer abgebüsst sind, links unten, entsteigen die gereinigten Toten dem Feuer, auf dem Altartisch ersichtlich, und werden von Engeln auf den Windungen einer Säule in den Himmel geleitet – bugsiert. Erstaunlicherweise hält sich im Paradies der hallelujatische Jubel in Grenzen. Doch was von Wyl und Räber auch in diesem Teil des Altars alles inszenieren, lässt uns schier die Augen übergehn.
Wiederum Wächter zu beiden Seiten. Die Himmelstür lässt sich nur schwer öffnen. Leicht erklärbar: Der goldene Schlüssel von Petrus ist halb so gross wie er selbst. Über den Erlösten hält ein Engel einen Friedenszweig, über den Verdammten erhebt ein anderer ein Flammenschwert. Mit Posaunen schmettern zwei weitere Engel das Signal vom Ende aller Tage in alle Welt. Zuoberst Christus als triumphierender Weltenrichter. Fülle, was Fülle nur sein kann.
Auf der rechten Säule werden die Verurteilten von Teufeln hinuntergestossen in die Hölle. Dort besteht zwar selbst der Höllenofen aus Gold, aber kann dies Trost sein in ewiger Pein und Verdammnis?
Lieben Sie Barock?
Das alles trifft zu, trifft aber nicht alles. Barock ist auch das Ergebnis übersprudelnder Gestaltungsfreude und – im besten Fall – grandioser Gestaltungskraft. Neben dem Strengen gibt es das Verspielte, neben der Realität die Illusion, neben der Todesangst die pure Lebensfreude und Lieblichkeit. Fazit: Diese Epoche fordert heraus. Nicht das Schlechteste, das uns passieren kann.
P.S. Nur ein paar hundert Meter südlich von Hergiswald gibt es – amtlich beglaubigt von der Landestopografie – eine Höll, einen Höllboden und sogar einen Oberhöllboden. Daselbst befindet sich auch eine Höllhütte, auf einem Balken eingeritzt Open 24h. Nach dem Gratis-Test der Gratis-Tipp: Hölle weiträumig meiden!
Alle Fotos in diesem Beitrag stammen von Hermann Lichtsteiner, Luzern: helifo.ch


