
Von Kirchgemeinden zur Gemeindefreiheit
Der politische Katholizismus war für die Entstehung der direkten Demokratie in der Schweiz ein wichtiger Treiber. Die Kirchgemeinden bildeten dabei den Ursprung des Genossenschaftsprinzips.
Die durch das Genossenschaftsprinzip geförderte «Gemeindefreiheit», kurz die gemeindlich-genossenschaftliche Selbstbestimmung in Kirchgemeinden, Korporationen und dann auch in den politischen Gemeinden ist eine oft unterschätzte Tradition. Sie beruht auf einer naturrechtlichen Grundlage und trug viel zur späteren Konkretisierung der Volkssouveränität und Herausbildung der direkten Demokratie auf Kantons- und Bundesebene bei. In diesem Prozess, der im frühen 19. Jahrhundert begann, spielte der Katholizismus eine zentrale Rolle.
Der Weg zur Demokratie
In der Schweiz haben die Bürgerinnen und Bürger die Demokratie in den letzten 200 Jahren zu einem weltweit einmaligen Modell entwickelt. Die direkte Demokratie ist fester Bestandteil der politischen Kultur und das entscheidende Fundament für den wirtschaftlichen Erfolg des Landes.
Entscheidend zu dieser Demokratie beigetragen haben drei politische Bewegungen: die Katholisch-Konservativen, die Liberalen und die Frühsozialisten. Ihre Bedeutung wird in einer Mini-Serie beleuchtet.
Entscheidend zu dieser Demokratie beigetragen haben drei politische Bewegungen: die Katholisch-Konservativen, die Liberalen und die Frühsozialisten. Ihre Bedeutung wird in einer Mini-Serie beleuchtet.

Nach den Umbrüchen der Helvetik führte im Katholizismus die kirchliche Neuordnung ab 1821 zur Bildung von neuen Bistümern in der Schweiz. Im 19. Jahrhundert wurden dann etwa 50 klösterliche Niederlassungen säkularisiert. Dieser Prozess konnte teilweise durch die ab 1830 zahlreich gegründeten Kongregationen für Männer und Frauen aufgefangen werden (zum Beispiel die Schwesterngemeinschaften von Ingenbohl und Menzingen).
Die Jahre nach 1830 waren durch die politische Regeneration der Liberalen geprägt. Damals begann im Grunde bereits der «Kulturkampf» in der Schweiz, der bis circa 1880 dauerte. In diesem Zusammenhang entwickelten sich im Rahmen des Schweizer Katholizismus zwei Richtungen: Die liberalen Katholiken bildeten eine heterogene Minderheit, während die Mehrheit katholisch-konservativer Gesinnung blieb.

Der Schweizer Historiker Urs Altermatt schreibt anerkennend, dass die politische Emanzipationsbewegung der Katholiken nach 1848 das kirchentreue Volk auf demokratischer Basis organisierte: «Im Gegensatz zu den politischen Programmen anderer katholischer Parteien Europas anerkannte der politische Katholizismus in der Schweiz die Demokratie von Anfang an als selbstverständliche Staatsform […].» Darüber hinaus muss betont werden, dass Katholisch-Konservative – neben den Frühsozialisten – massgeblich an der Entwicklung der direkten Demokratie beteiligt waren. Neben dem Kanton Luzern traf dies insbesondere auch auf den Kanton Wallis zu.
Das Walliser Beispiel
Die alte Republik Wallis besass aber bereits vormoderne demokratische Strukturen. Sie war ein Staatenbund aus sieben souveränen «Zenden», die als selbständige Kleinstrepubliken gemeinsam mit dem Bischof von Sitten das Unterwallis als Untertanengebiete durch Landvögte regierten. Die Zenden waren ähnlich organisiert, gliederten sich in weitere Untereinheiten und genossenschaftlich verfasste Gemeinden sowie Korporationen und Pfarreien. Gemeinsames und höchstes Organ des Kantons war der Landrat (später als Legislative der Grosse Rat), dessen Mitglieder Abgesandte der einzelnen Zenden waren. Die Beschlüsse des Landrats kamen in den einzelnen Gemeinden zur Abstimmung, schlussendlich entschied die Mehrheit der Zenden endgültig über ein Geschäft. Dieses Recht kann als «föderalistisches Referendum» bezeichnet werden und ist zweifellos eine wichtige Wurzel der späteren Demokratieentwicklung im Kanton Wallis und in der übrigen Schweiz.

Erster Kanton mit obligatorischem Referendum
Der Kanton Wallis war damit der erste Schweizer Kanton, der ein obligatorisches Referendum einführte; deshalb kommt den Katholisch-Konservativen dieses Kantons zweifellos eine Pionierrolle zu. Eine weitere grosse Leistung der Konservativen war der längst überfällige Erlass eines Schulgesetzes. Dieses führte die allgemeine Schulpflicht ein und sah die Gründung einer Normalschule und eines Lehrerseminars vor. Die geistlichen und die weltlichen Behörden teilten sich die Leitung des Schulwesens.
