Torhüter Marti Riesen im Spiel der Schweiz gegen die Sowjetunion, um 1950.
Torhüter Marti Riesen im Spiel der Schweiz gegen die Sowjetunion, um 1950. ETH-Bibliothek

Eishockey — etwas für harte Kerle?

Sport widerspiegelt immer Geschlechterrollen und -bilder. Beim Eishockey fallen diese besonders auf, was viel mit der Entstehungsgeschichte dieses Sports zu tun hat.

Simon Engel

Simon Engel

Simon Engel ist Historiker und bei Swiss Sports History für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig.

Eishockey ist ein harter Sport: Im Kampf um den Puck wird gecheckt, was das Zeug hält; einige Spieler präsentieren gar ihre Zahnlücken als Beweis für ihren aufopferungsvollen Einsatz auf dem Eis. Pünktlich zum Start der Playoffs lassen sich die kräftigen Eishockey-Cracks zudem einen Bart wachsen und rasieren ihn erst wieder ab, wenn sie ausgeschieden sind oder den Meistertitel errungen haben – männlicher geht’s nimmer. Das ist zumindest die landläufige Vorstellung von Eishockey. Ein Blick in die Anfänge des Sports zeigt aber – harte Typen müssen jetzt stark sein –, dass die Frauen zunächst ganz selbstverständlich mitspielten.
Frauen und Männer beim Bandyspiel, St. Moritz, 1910.
Frauen und Männer beim Bandyspiel, St. Moritz, 1910. Wikimedia / Schweizerische Nationalbibliothek
Warum gilt Eishockey trotzdem als «typischer Männersport»? Und warum waren die Frauen anfänglich dabei und später weiterhin mit Schlittschuhen, aber ohne Schläger und Puck auf den Schweizer ice rinks anzutreffen? Antworten darauf finden sich im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert: Eishockey gelangte ab etwa 1880 aus Nordamerika und Grossbritannien (von dort aus in der Variante des Bandy) in die Schweiz und ist analog zu anderen Wintersportarten oder dem Fussball eine Folge der internationalen Vernetzung der Schweiz, die sich im Fall des Eishockey vor allem in den Winterkurorten Graubündens und der Waadtländer Voralpen manifestierte: Einerseits betrieben angelsächsische Touristinnen und Touristen während ihren Aufenthalten in den Grand Hotels das ihnen aus der Heimat bekannte Spiel, andererseits war Eishockey in den elitären und international ausgerichteten Internaten Teil des Lehrplans und wurde dort von den hauptsächlich ausländischen Sprösslingen gespielt. Die Anfänge des modernen Eissports in der Schweiz waren also eine Sache der internationalen upper class.
Ein Picknick auf einem Eisfeld in St. Moritz, um 1900.
Ein Picknick auf einem Eisfeld in St. Moritz, um 1900. Schweizerisches Nationalmuseum
Doch warum spielten die «Schönen und Reichen» ausgerechnet Eishockey? Im Tourismuskontext waren die Gründe vielfältig. Grundlegend war aber die Vorstellung, dass die Alpenluft – und damit auch Wintersport – der Gesundheit zuträglich sei. Der Kurverein St. Moritz beispielsweise warb in einer Broschüre von 1901, dass man hier Gesundheit und Vergnügen ideal verbinden könne. Wintersport war im Vergleich zu heute zudem noch kostspieliger und bot sich deshalb ideal als Distinktionsmerkmal an: Nur wenige konnten damals behaupten, nach einer beschwerlichen Reise in die Alpen, sich im Grand Hotel die Zeit mit Sport und anderen Vergnüglichkeiten zu vertreiben. Entsprechend elegant kleideten sich die noblen Gäste, Eishockey war ein Teil des gängigen «Sehen und gesehen werden».
Elegantes Eishockeyspiel im Grand Hotel von Les Avants VD in den 1920ern.
Elegantes Eishockeyspiel im Grand Hotel von Les Avants VD in den 1920ern. ETH-Bibliothek
Nebst ideellen Faktoren gab es für die Verbreitung des Eishockeys auch ganz praktische Ursachen, denn die Hotels warben um ihre Gäste mit einer gut ausgebauten Infrastruktur: Dazu gehörten nicht nur Eisfelder für Curling, Eislaufen und Eishockey, sondern auch Schlittelwege, Bobbahnen und später Skilifte.
Plakat für das Grand Hotel & Belvedere in Davos, 1905.
Plakat für das Grand Hotel & Belvedere in Davos, 1905. Wikimedia
Die Einheimischen in den Kurorten, insbesondere die männlichen Jugendlichen, kamen dadurch auch in den Kontakt mit Eishockey, allerdings spielten sie für sich auf den Strassen und mit rudimentärem Material, wie sich der spätere Nationalspieler Hans Dürst in einem Zeitzeugeninterview erinnerte: «Bei unserem Haus gab es zur Strasse hin ein grosses, halbrundes Kellerfenster, das sich hervorragend als Goal eignete. Wir spielten auf der Strasse, das war kein Problem, denn es herrschte ja noch fast kein Verkehr.» Als Puck habe ein gefrorener Pferdeapfel gedient und die Schläger wurden aus Holzlatten zusammengebastelt. Weil es über dieses Strasseneishockey (in Mundart: chneblen) aber viel weniger Quellen gibt, ist es schwierig abzuschätzen, wie breitenwirksam das Spiel in seinen Anfängen unter den Einheimischen war. In den noblen Internaten wiederum diente das Spiel in erster Linie als Erziehungsmittel für junge Männer, wie es exemplarisch im Jahresbericht 1923/24 des Lyceum Alpinum Zuoz beschrieben wird: «Eine derart gebundene Spiel- und Bewegungstätigkeit hat in verschiedener Hinsicht ihren hohen erzieherischen Wert: die Gemeinschaftsarbeit fördert den Sinn für Solidarität und Kameradschaft; die Spiele selbst erfordern Mut, Geschicklichkeit und Ausdauer, und in ihrer auf den Gegner gerichteten streng geregelten Kampfform erziehen sie vor allem zu den echt männlichen Tugenden der Selbstbeherrschung und der Loyalität.» Über den Wettkampf sollten also Regeln, Teamfähigkeit und eine bestimmte Art von Männlichkeit – der vernünftige Gentleman, der seine Gefühle und seinen Körper jederzeit unter Kontrolle hat – eingeübt werden. Vorbild für dieses Erziehungsideal waren die elitären Public schools Grossbritanniens, die deshalb bis heute ein reichhaltiges Sportprogramm anbieten.
Eishockeymatch in einem Internat oberhalb von Vevey, 1907.
Eishockeymatch in einem Internat oberhalb von Vevey, 1907. Bildarchiv BASPO
Das frühe Fraueneishockey beschränkte sich wohl auf das Freizeitvergnügen angelsächsischer Touristinnen aus den gehobenen Gesellschaftsschichten in den Grand Hotels. Dass die noblen Damen Eishockey spielten, war aber kaum ein Akt der Gleichberechtigung, denn sportliche Aktivitäten von Frauen im Allgemeinen und Wintersport im Speziellen wurden in den europäischen Gesellschaften des frühen 20. Jahrhundert ambivalent betrachtet: Sport wurde als positive Gesundheitsförderung für Frauen hervorgehoben, insbesondere die Alpenluft sollte das damals imaginierte «kränkliche und gefühlsbestimmte weibliche Wesen» zügeln. Gleichzeitig wurde aber auch kritisiert, Wintersport sei für Frauen zu wenig vornehm oder schicklich und zudem eine Gefahr für die Gebärfähigkeit. Solche biologistischen Argumentationen wurden damals von Ärzten (und wenigen Ärztinnen) befördert, welche Sportarten entsprechend den damals vorherrschenden Geschlechterbildern in «typische» Frauen- und Männersportarten aufteilten. Dabei mussten oft die unterschiedlichen körperlichen Voraussetzungen und Konstitutionen als Argument für den Ausschluss von Frauen herhalten. Es gab aber auch Sportarten, bei denen beide Geschlechter mitmachten. In den entsprechenden Lehrbüchern und den Regelwerken wurden trotzdem geschlechtsspezifische Unterschiede konstruiert: So sollten Turnerinnen bloss «sanfte» Gymnastik betreiben, während die Turner schwierige und kraftvolle Übungen an den Geräten vorzeigen sollten. Skifahrerinnen absolvierten zwar auch Abfahrten, im Vergleich zu den Skifahrern waren diese aber weniger steil und weniger anspruchsvoll gesteckt. In der Schweiz entwickelte sich Eishockey nach 1900 zu einem reinen Männersport, weil mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs der ausländische Eishockey-Tourismus zum Erliegen kam und danach in Vergessenheit geriet oder von anderen Sportarten abgelöst wurde. Zudem kam bereits ein paar Jahre vor dem Krieg die «Versportlichung» des Schweizer Eishockeys in die Gänge, das Spiel entwickelte sich von einer Freizeitbeschäftigung und einem Erziehungsmittel zu einem leistungsorientierten Wettkampfsport mit entsprechenden Regelwerken, Teams, Vereinen und Verbänden. Ausgangspunkt dafür waren die elitären und rein männlich geprägten Internate aus der Genferseeregion, die jeweiligen Schüler- und Lehrerteams wandelten sich mit der Zeit zu Eishockeyclubs und waren Vorbild für weitere Vereinsgründungen. Auch die Waadtländer Hoteliers setzten auf die «neue» Art von Eishockey, in den Clubs sahen sie ein ideales Marketinginstrument für ihre Kurorte. So wurden beispielsweise Einladungsturniere mit Mannschaften aus Frankreich und Grossbritannien organisiert, über die werbewirksam in der in- und ausländischen Presse berichtet wurde. Die Westschweizer Internatsdirektoren und Hoteliers standen deshalb auch hinter der Gründung des ersten Schweizer Eishockeyverbands im Jahre 1906. Dieses institutionalisierte Eishockey sah jedoch keine Spielerinnen vor.
Der Berliner Schlittschuh-Club gegen den Brüsseler Eishockey-Club an der ersten Europa-Meisterschaft 1910 in Les Avants bei Montreux.
Der Berliner Schlittschuh-Club gegen den Brüsseler Eishockey-Club an der ersten Europa-Meisterschaft 1910 in Les Avants bei Montreux. Wikimedia
Lässt sich die Verdrängung von Frauen aus dem Schweizer Eishockey demnach alleine auf den Wandel zu einem wettkampforientierten Sport zurückführen? So eindeutig ist die Antwort darauf nicht, denn zu Beginn des 20. Jahrhundert gab es beispielsweise in Kanada Eishockey-Frauenteams an den Colleges, die zwischen 1921 und 1936 gar in einer Meisterschaft gegeneinander spielten. Bereits 1916 fand im amerikanischen Cleveland ein internationales Turnier mit Teams aus den USA und Kanada statt. Ausserhalb Nordamerikas gab es in den 1930er-Jahren institutionalisiertes Fraueneishockey in Frankreich und in Grossbritannien, der Pariser Verein «Droit au But» hatte gar seinen zweiten Sitz im waadtländischen Kurort Villars und spielte dort immer wieder Matches. Der internationale Eishockeyverband vertagte 1930 jedoch einen Entscheid über die Einführung von Frauen-Wettbewerben auf einen späteren Zeitpunkt.
Hockey-Team der Queen's University, Kingston, Ontario, 1917.
Hockey-Team der Queen's University, Kingston, Ontario (CA), 1917. Wikimedia
Wie bereits erwähnt, waren Frauen in verschiedenen körperbetonten, männlich konnotierten Sportarten wie dem Skifahren präsent und absolvierten auch Wettbewerbe. In den 1920ern kamen in Europa ausserdem modernistische Rollenbilder wie das Sportgirl auf: Frauen probierten Leichtathletik, Skispringen, Bergsteigen, Segelflug, Automobilsport oder Fussball aus und gründeten dafür eigene Verbände. Um eine Massenbewegung handelte es sich jedoch nicht, weil der gesellschaftliche Diskurs über Frauensport bis in die 1960er-Jahre mehrheitlich von Skepsis bis Ablehnung geprägt war. Es waren also länderspezifische gesellschaftliche Vorstellungen über die Rollen von Frauen und Männern zu einer bestimmten Zeit, die Eishockey in Europa zu einem Männersport machten. Frauen, die Sport trieben oder gar Wettkämpfe absolvierten, überschritten mit ihrem Verhalten eine gesellschaftlich gesetzte Grenze, weil sie männlich codierte Eigenschaften und Tätigkeiten beanspruchten.
Neues Frauenbild der 1920er: Boxerin auf dem Titelblatt der Zeitschrift «Die Woche», 1929.
Neues Frauenbild der 1920er: Boxerin auf dem Titelblatt der Zeitschrift «Die Woche», 1929. akg Images / Universal Images Group
Solche Vorstellungen sind abgeschwächt bis in die Gegenwart präsent, weil gesellschaftliche Führungspositionen von Männern dominiert sind und der Sport heterosexuelle Männlichkeit implizit als Norm setzt.  Diese Strukturen und Normen stecken den Rahmen ab, wie, wo und wann Frauen Sport treiben können. Dass Männer das Eishockey institutionalisierten und Ärzte bestimmten, welche Sportarten für Frauen (un)passend sind, ist demnach kein Zufall. Verstärkt werden solche geschlechtstypischen «Sportkulturen» aufgrund der Rollenbilder, die in den Medien verbreitet werden und wiederum beeinflussen, welche Sportarten Frauen betreiben wollen. Im Fall der Schweiz zeigte sich dies, als Anfang der 1930er-Jahre erste Eisfelder ausserhalb der Alpen gebaut wurden: Die Buben begeisterten sich fürs Chneblen, während die Mädchen dem Ideal der Eisprinzessin nacheiferten und sich für Eiskunstlauf entschieden. Alle die erwähnten Faktoren trugen dazu bei, dass Fraueneishockey nach dem Zweiten Weltkrieg zumindest in Europa für drei Jahrzehnte in der Versenkung verschwand. Erst mit dem gesellschaftlichen Aufbruch nach 1968 wurde es wiederbelebt: Erste Teams entstanden in den frühen 1970ern in Skandinavien, der erste Fraueneishockeyverein der Schweiz wurde 1980 in La Vannerie FR gegründet. Vier Jahre und acht Clubgründungen später anerkannte der Schweizerische Eishockeyverband (SEHV) das Fraueneishockey. In den 1980er-Jahren wurden auch nationale und internationale Meisterschaften ins Leben gerufen, die (damals noch inoffizielle) Schweizer Frauenmeisterschaft startete 1986.
Bericht über das Schweizer Frauennationalteam, Karussell, 13.04.1987. SRF
Eine Gleichbehandlung mit den Männern bedeutete dieser institutionelle Schub jedoch nur bedingt: So müssen die Eishockeyanerinnen im Gegensatz zu den Männern ihr Gesicht vollständig mit Gitter oder Plexiglas schützen. Auch im Fraueneishockey besteht demnach eine geschlechtsspezifische Sportkultur, bei der sich Frauen verbiegen müssen, damit potenzielle Widersprüchlichkeiten zwischen ihrer «verletzlichen Weiblichkeit», gesellschaftlichen Normen und Sport vermieden werden können, während die Norm des harten, männlichen Eishockeycracks schwere Verletzungen zugunsten des Spektakels als part of the game gutheisst. Allerdings – so hart sind die Eishockey-Fighter nun aber auch wieder nicht: Sie spielen im Gegensatz zu den Anfängen des Sports mit Helm, gepolsterten Schonern und Zahnschutz.

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Dieser Text ist in Zusammenarbeit mit Swiss Sports History, dem Portal zur Schweizer Sportgeschichte, entstanden. Die Plattform bietet schulische Vermittlung sowie Informationen für Medien, Forschende und die breite Öffentlichkeit. Weitere Informationen finden Sie unter sportshistory.ch.

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