Porträt der Familie Zimmermann-Mulgrave, um 1873.
Porträt der Familie Zimmermann-Mulgrave, um 1873. BMArchives

Die erste afrika­ni­sche Lehrerin der Basler Mission

Das Leben von Catherine Zimmermann-Mulgrave erzählt eine Geschichte vom Handel mit versklavten Menschen und christlicher Missionierung in Westafrika im 19. Jahrhundert. Und es zeigt, wie es einer afrikanischen Frau gelang, trotz Verschleppung und Ausgrenzung eigenständig und selbstbestimmt durchs Leben zu gehen.

Noëmi Crain Merz

Noëmi Crain Merz

Noëmi Crain Merz ist Historikerin an der Universität Basel.

Als Catherine Zimmermann-Mulgrave im Spätsommer 1876 durch Basel spazierte, war sie eine Ausnahme, aber kein Einzelfall. Ungefähr zwei Dutzend Männer und einzelne Frauen aus Afrika wohnten zwischen 1830 und 1880 zeitweise hier: im Basler Missionshaus, in Riehen oder in der Pilgermission St. Chrischona. Zimmermann-Mulgrave war nur für kurze Zeit in Europa. Ihre Wahlheimat war die Goldküste, das spätere Ghana. Jahrzehntelang unterrichtete sie dort Kinder in Missionsschulen, vorwiegend Mädchen. Ihr alltägliches Leben unterschied sich kaum von jenem anderer Missionarsfrauen. Und doch war es aussergewöhnlich: Als siebenfache Mutter war Catherine berufstätig, als Schwarze war sie Lehrerin und Missionarin, als geschiedene Frau blieb sie akzeptiert und geachtet.
Eine Druckgrafik von Jakob Theophil Beck zeigt das Missionshaus in Basel, Ende 19. Jahrhundert.
Eine Druckgrafik von Jakob Theophil Beck zeigt das Missionshaus in Basel, Ende 19. Jahrhundert. Wikimedia / Schweizerische Nationalbibliothek
Nichts deutete auf ein solches Leben hin, als die junge Catherine im April 1833 – damals hiess sie noch Gewe – mit zwei Cousinen am Strand von Luanda in Angola in der Nähe eines portugiesischen Schiffes im Meer fischte. Segelschiffe und europäische Matrosen waren den Kindern vertraut, seit Jahrhunderten liefen portugiesische Seefahrer die Küstenstädte Westafrikas an. Als Männer heranruderten und ihnen Süssigkeiten versprachen, folgten die Mädchen ihnen. Weder ahnte Gewe beim Betreten des Schiffes, dass sie ihre Heimat nie mehr sehen würde, noch, dass im Schiffsrumpf Menschen lagen. In Gestank und Feuchtigkeit waren sie auf engstem Raum aneinandergekettet, um in der Karibik verkauft zu werden.
Blick ins Innere eines Sklavenschiffs. Aus «The history of slavery and the slave trade, ancient and modern» von William Blake, 1861.
Blick ins Innere eines Sklavenschiffs. Aus «The history of slavery and the slave trade, ancient and modern» von William Blake, 1861. Wikimedia

Mit der Bibel gegen die Ausbeutung

Schon seit 300 Jahren wurden Millionen Menschen auf diese Weise aus Afrika auf den amerikanischen Kontinent verschleppt. Zwar verbot Grossbritannien 1807 den Handel mit versklavten Menschen. Trotz hitzigen Debatten im britischen Parlament blieb ihr Besitz aber weiter erlaubt, in den spanischen Kolonien gar noch jahrzehntelang. Die Heroina, auf der die Mädchen festgehalten wurden, steuerte das spanische Kuba an. Dass sie ihr weiteres Leben nicht in Sklaverei verbrachte, verdankte Gewe einem Tropensturm, der das Schiff vor der britischen Kolonie Jamaika zum Kentern brachte. Zahlreiche im Schiffsbauch angekettete Menschen ertranken in den Fluten, doch die Mädchen hielten sich an zusammengebundenen Masten über Wasser und wurden gerettet. Jamaika war noch gezeichnet von der Niederschlagung des grössten Aufstands versklavter Menschen seiner Geschichte, des «Baptist War». Um den Jahreswechsel 1831/32 hatten sich versklavte Männer und Frauen, angeführt vom Sklaven und Laienprediger Samuel Sharpe, gegen die Plantagenbesitzer erhoben.
Die Zerstörung des Roehampton Estate in Jamaika im Januar 1832. Illustration von Adolphe Duperly aus dem Jahr 1833.
Die Zerstörung des Roehampton Estate in Jamaika im Januar 1832. Illustration von Adolphe Duperly aus dem Jahr 1833. Wikimedia
Die Kirche ihrer Ausbeuter inspirierte die geknechtete Bevölkerung zum Aufstand. Religion und Politik vermischten sich bei der Revolte in doppelter Hinsicht. Kirchliche Treffen waren die einzige Möglichkeit, sich ohne Aufsicht von Weissen zu versammeln. Und die von christlichen Missionsgesellschaften verbreitete Lehre von Gleichheit und Brüderlichkeit hielt der versklavten Bevölkerung vor Augen, welch grosses Unrecht ihr angetan wurde. Er sei von seinen Besitzern gut behandelt worden, sagte Sharpe 1832 vor seiner Hinrichtung. Die Lektüre der Bibel habe ihm aber gezeigt, dass Menschen kein Recht hätten, andere zu versklaven. Lieber wolle er in Freiheit sterben als in Sklaverei leben. Sein Kampf trug wesentlich zum Verbot der Sklaverei auf den britischen Karibikinseln bei. Vier Monate nach Gewes Entführung wurde in London der Slavery Abolition Act unterzeichnet.
Statue des Nationalhelden Samuel Sharpe in Montego Bay, Jamaika.
Statue des Nationalhelden Samuel Sharpe in Montego Bay, Jamaika.   Wikimedia
Auch für Gewe wurde der christliche Glaube wegweisend. Sie wurde vom Gouverneur von Jamaika, Lord Mulgrave, und seiner Frau Catherine aufgenommen und auf deren Namen getauft. Schulunterricht erhielt sie in einer Missionsgemeinde, die sie später zur Lehrerin ausbildete. Als Catherine 16 Jahre alt war, kamen Missionare aus Basel auf die Insel, um ehemals versklavte Menschen für die Missionsarbeit in Afrika zu rekrutieren. Einer dieser Basler Missionare war selbst Afrikaner. George Thompson aus Liberia war von der Mission in Basel ausgebildet worden und wurde nun an die Goldküste, das spätere Ghana, geschickt. Bald nachdem er Catherine kennengelernt hatte, machte er ihr einen Heiratsantrag, den sie annahm. Gemeinsam mit ihrem Mann bestieg sie ein Schiff, das sie zurück nach Afrika bringen sollte. Im April 1843 erreichte sie den Kontinent – 2000 Kilometer nördlich ihres Geburtsorts und zehn Jahre nach ihrer Entführung.
Karte der «Arbeitsgebiete» der Basler Mission an der Goldküste, Anfang 20. Jahrhundert.
Karte der «Arbeitsgebiete» der Basler Mission an der Goldküste, Anfang 20. Jahrhundert. Wikimedia

Geschie­den und alleinerziehend

Catherine und George Thompson bauten eine Schule auf und unterrichteten Kinder, erst auf Englisch, dann in der lokalen Sprache Ga, die Catherine schnell lernte. Die Arbeit erfüllte sie, doch ihre Ehe war trotz der Geburt von zwei Kindern unglücklich. George Thompson hatte zahlreiche Affären, angeblich auch mit Schülerinnen. Catherine war erst Anfang 20, als sie auf ihren Wunsch hin «gesetzmässig» geschieden wurde. Die Obhut über die gemeinsamen Kinder wurde ihr übertragen, sie nahm wieder den Namen Mulgrave an, und die Basler Mission stellte es ihr frei, eine neue Ehe einzugehen. Sie konnte weiter als Lehrerin arbeiten, ihren Ex-Mann entliess die Mission hingegen. Gegenüber George Thompson, der zunehmend dem Alkohol verfiel, zeigte die Basler Mission grosse Härte. Mit seinem Verhalten hatte er explizit gegen die christliche Moral verstossen, welche die Missionare als die einzige «zivilisierte» ansahen.

Thompson musste aber wegen grober Sünden­fäl­le schon nach kurzer Zeit aus dem Missions­dienst entlassen warden. Schliess­lich geriet derselbe immer tiefer in die Sünde hinein u. liess sein Sünden­le­ben eine gericht­li­che Scheidung von seiner gottes­fürch­ti­gen Ehefrau notwendig warden, u. zwar aus Gründen, kraft welchen nach Christi Wort (Matth. 5,32) eine Eheschei­dung auch vor Gottes Augen gerecht­fer­tigt ist.

Auszug aus einem Nachruf auf «Frau Missionar Zimmermann 1891» geschrieben von Paul Steiner.
Ein paar Jahre nach ihrer Scheidung verliebte sich die junge Lehrerin in den deutschen Basler Missionar Johannes Zimmermann, der kurz zuvor nach Westafrika gekommen war. Missionare mussten zwei Jahre lang ledig im Missionsgebiet leben und vor einer Eheschliessung die Erlaubnis des Komitees in Basel einholen. Johannes Zimmermann und Catherine Mulgrave ignorierten diese Vorschriften und heirateten im Juni 1851. Das Risiko eines Ausschlusses aus der Mission nahmen sie in Kauf. Nicht nur das eigenmächtige Handeln entrüstete das Komitee in Basel, auch die Heirat zwischen Weissen und Schwarzen lehnten sie ab. Sie schickten zwar Europäer nach Afrika und holten Menschen von dort nach Europa, um ihnen die eigene Lebensweise und pietistische Moralvorstellungen nahezubringen, doch «Mischbeziehungen» waren ihnen suspekt, denn damit wurden etablierte Grenzen überschritten. Dank der Unterstützung von Missionsbrüdern wurde Zimmermann nicht entlassen, sondern nur gerügt: Er hätte «die heimatlichen bürgerlichen Verhältnisse aufgelöst» und wäre nun als «definitiv in Afrika stationiert anzusehen». Der Urlaub in der deutschen Heimat wurde ihm gestrichen. Als Strafe empfand dies der Deutsche, der die Goldküste als sein «zweites Vaterland» bezeichnen sollte, kaum. Er lernte die Sprache Ga, übersetzte die Bibel und verfasste Wörterbücher und eine Grammatik in der lokalen Sprache.
Porträt der Familie Zimmermann-Mulgrave, 1870er-Jahre.
Johannes (2. v. l.) und Catherine ( 3. v. l.) Zimmermann-Mulgrave lebten eine «Mischehe», welche nicht gerne gesehen wurde. Die beiden waren 20 Jahre verheiratet. BMArchives
Catherine Zimmermann-Mulgrave arbeitete weiter als Lehrerin in verschiedenen Mädchenschulen und bekam in den folgenden Jahren fünf Kinder. Anders als bei Missionarspaaren üblich, wurden sie wegen des Verstosses der Eltern gegen die Heiratsvorschriften nicht in die Missionsschule nach Basel geschickt. Sie wuchsen gemeinsam mit dem Sohn und der Tochter aus Catherines erster Ehe auf, in enger Verbindung mit der ansässigen Bevölkerung. Zeitweise lebten Söhne der lokalen Königsfamilie in ihrem Haus, das mitten in der Siedlung der Einheimischen stand. Sowohl Ga als auch Deutsch, Englisch und Zimmermanns schwäbischer Dialekt wurden hier gesprochen – alles durcheinander, erinnerte sich ein Besucher.

Tod des Ehemanns in Europa

In den Missionskreisen hatten nicht alle Verständnis für die Vermischung von afrikanischen und europäischen Lebensformen. «Zu stark acclimatisiert» sei Zimmermann, wurde kritisiert. Verantwortlich dafür machte man seine Frau, durch die er «wie kaum ein zweiter in das afrikanische Wesen und Leben» eingetaucht sei. Und doch sah Johannes Zimmermann nicht nur das Christentum als einzig wahre Religion an, sondern auch die damit verbundene Kultur als allen anderen überlegen. Afrika bedürfe, schrieb er, «des Sauerteigs der christlichen Kultur». Deutsche Kolonisierungsbestrebungen sah er positiv. 20 Jahre nach ihrer Heirat fuhr Catherine mit ihrem Mann, dem das Klima in Westafrika stark zugesetzt hatte, und einem Teil ihrer Kinder nach Europa. Beim zweiten Aufenthalt in seinem süddeutschen Geburtsort Gerlingen, wohin sie über Basel gereist waren, starb Johannes Zimmermann Ende 1876, erst 51-jährig, an einer Tropenkrankheit. Als Witwe kehrte Catherine in ihre Wahlheimat Accra an der Goldküste zurück, wo sie bis 1891 als «ältestes Glied der Basler Missionsfamilie» lebte. Sie sei, hielt die Basler Mission nach ihrem Tod fest, «von Christen und Heiden geliebt» worden.

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