Jules Bloch in seinem Büro.
Musée d’histoire de la Chaux-de-Fonds

Das gefähr­li­che Geschäft von Jules Bloch

Der Schweizer Industrielle Jules Bloch exportierte während des Ersten Weltkriegs Munitionsbestandteile nach Frankreich. Deutschland versuchte mit Intrigen dem Geschäft ein Ende zu setzen.

Christophe Vuilleumier

Christophe Vuilleumier

Christophe Vuilleumier ist Historiker und Vorstandsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte. Er hat verschiedene Beiträge zur Schweizer Geschichte des 17. und 20. Jahrhunderts publiziert.

Von 1915 bis 1918 produzierten Schweizer Unternehmen im grossen Stil Munitionsbestandteile und verkauften sie an die kriegsführenden Nationen. Zu den wichtigsten Lieferanten Frankreichs gehörte der jüdische Industrielle Jules Bloch. Der Unternehmer war vor dem Krieg in der Stahl- und Uhrenindustrie tätig gewesen, passte aber bei Kriegsausbruch die Produktion und seine Bestellungen bei den jurassischen und den Neuenburger Uhrenfabriken den neuen Umständen an und liess von da an Granatenzünder herstellen. Jules Bloch fuhr in seinem eigenen Zug von Neuenburg nach Moutier, von Delsberg nach La-Chaux-de-Fonds oder von Biel nach Lausanne, wo er Verträge mit den Fabrikanten unterschrieb, die Fracht in die Güterwagen lud und die Eisenbahnkonvois organisierte, die die Munition nach Frankreich schafften. In vier Jahren verkaufte er der französischen Armee Waffen im Wert von fast 85 Millionen Schweizer Franken – ein Geldsegen, der während der ganzen Kriegszeit eine Vielzahl kleiner Industriebetriebe im Jurabogen über Wasser hielt.

Verpackung der Zünder von Jules Bloch in absichtlich falsch beschriftete Kisten, um einen diskreten Transport zu ermöglichen.
Musée d’histoire de la Chaux-de-Fonds

Beladung von Güterwagen mit Munitionsbestandteilen.
Musée d’histoire de la Chaux-de-Fonds

Es waren diese Geschäftsbeziehungen, die Bloch mit dem französischen Munitionsminister Albert Thomas in Kontakt brachten, der in der Folge mehrmals beim Neuenburger Industriellen zu Gast war. Diese Geschäftstätigkeit erregte unweigerlich die Aufmerksamkeit des deutschen Geheimdienstes. Der Einfluss Deutschlands in der Schweiz zeigte sich auf verschiedenste Weise. Zahlreiche Schweizer Unternehmen waren von privaten deutschen Firmen übernommen worden. In einer freien Marktwirtschaft sind Übernahmen zwar nichts Ungewöhnliches, angesichts des laufenden Krieges liegt aber doch der Verdacht nahe, dass diese Akquisitionen mit der Absicht geschahen, einen Handelskrieg anzuzetteln. Hinter mehreren Schweizer Fabriken – darunter die Hersteller von Aluminium und Salpetersäure in Neuhausen, Rheinfelden und Chippis oder die Ferrosiliziumproduzenten in Olten, Aarburg, Gösgen und Augst-Wyhlen – stand die mächtige Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) unter der Leitung von Walther Rathenau. Der hohe Beamte des preussischen Kriegsministeriums stand bis April 1918 der Kriegsrohstoffabteilung vor. Die Gründung eines Ablegers der AEG, der Metallum AG mit Sitz in Bern, hatte das erklärte Ziel, die Industriegeschäfte zwischen der Schweiz und Deutschland zu vereinfachen. Mit der Metallum AG versuchte man auch wiederholt, dem Munitionsfabrikanten Bloch zu schaden. Geführt wurde die Metallum nicht nur von Walter Rathenau, sondern auch von den Direktoren der Metallgesellschaft, der Metallbank und der Metallurgischen Gesellschaft, und war so faktisch ein in der Schweiz aktiver deutscher Konzern. Das Unternehmen stand in direktem Kontakt mit der deutschen Gesandtschaft und dem Geheimdienst des Reichs, dessen Dienststelle in Lörrach, vor den Toren Basels, mit Sondermissionen in der Schweiz betraut war.

Walther Rathenau
Wikimedia / Bundesarchiv, Bild 183-L40010

Ab 1917 verstärkte die Metallum ihre Umtriebe gegen Bloch, indem sie versuchte, einige seiner Zulieferer zu diskreditieren, um ihn bei seinen französischen Kunden in Verruf zu bringen. Diese Intrigen misslangen zwar, schufen aber ein besonders negatives Bild von Jules Bloch, den man als eine Art im Überfluss lebenden «Millionärskönig» darstellte. Die Tatsache, dass der Industrielle Nachsteuerforderungen der Eidgenössischen Steuerverwaltung mehrmals angefochten hatte, war seinem Ruf nicht förderlich. Er gab an, wegen der unsicheren Kriegslage und der laufenden Bestellungen nicht in der Lage gewesen zu sein, seine Einnahmen richtig zu berechnen. Der Schweizer Fiskus, der nach dem militärischen Zusammenbruch Russlands zweifellos einen deutschen Sieg und damit Blochs Ruin befürchtete, veranlagte Bloch im Februar 1918 mit einem Steuerbetrag von zwei Millionen Franken. In den darauffolgenden Monaten stellte die Steuerverwaltung, beeinflusst vom Eindruck, die Metallum wolle Bloch schaden, und von der zunehmend angespannten Wirtschaftslage in der Schweiz jedoch die tatsächlichen Gewinne des Munitionsfabrikanten in Frage und leitete eine Untersuchung ein. Aus den Ergebnissen schloss man, dass der Neuenburger dem Fiskus die enorme Summe von zweiundzwanzig Millionen schuldete. Während Jules Bloch verzweifelt versuchte, die Steuerforderung zu umgehen, wurde gegen ihn anonym Anzeige wegen Betrugs erstattet. Die Anschuldigung führte zu einer Durchsuchung von Blochs Büros, die Hinweise auf einen Bestechungsversuch zutage förderte. Die Tatsache, dass ein Angestellter der Eidgenössischen Steuerverwaltung direkt involviert war, machte die Sache noch heikler.

Fabrikation von Munitionsbestandteilen in der Firma Piccard, Pictet & Cie Genève. Die seit 1915 wachsende Kriegsmaterialproduktion führte in der Metall- und Maschinenindustrie rasch zu einem Arbeitskräftemangel. Auch in dieser tradtionell von Männern dominierten Branche wurden vermehrt Frauen beschäftigt.
Schweizerisches Nationalmuseum

Am 8. August 1918 wurde Bloch schliesslich verhaftet und kam im Gefängnis Bois-Mermet in Lausanne in Untersuchungshaft, bevor ihn das Bundesgericht im Januar 1919 schuldig sprach. Er wurde zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Ausserdem musste er 2,7 Millionen Franken Steuern und eine Busse von 10 000 Franken zahlen. Da es ihm nicht gelang, die ganze Summe in bar zusammenzubringen, war Bloch gezwungen, einen Teil seines Eigentums zu veräussern. Darunter befand sich insbesondere ein Haus auf einem Grundstück ausserhalb von Genf. Diese Parzelle bot der Bund kurze Zeit später der Internationalen Arbeitsorganisation an, die dort später ihren Sitz einrichtete. Erster Generaldirektor der IAO war kein anderer als Blochs alter Freund, dem französischen Munitionsminister Albert Thomas.

Über die Einzelheiten der Steuerverhandlungen, die geführt wurden, während der Industrielle hinter Gittern sass, ist natürlich wenig bekannt. Hingegen weiss man, dass Bloch während seiner Haft viele Vorzüge genoss. Er durfte seine Familie, seinen Sekretär sowie seine Notare und Anwälte, mit denen er weiterhin arbeitete, empfangen und für einen Besuch beim Schneider oder ein Essen im Restaurant in die Stadt fahren.

Als der Weltkrieg und der auf Blochs Rücken ausgetragene Propagandakrieg zu Ende waren, widmete er sich wieder einer konventionelleren Unternehmertätigkeit und wurde 1925 insbesondere Vizedirektor der Metallwerke AG in Dornach. 1945 verstarb Jules Bloch. Die Ermordung von Walther Rathenau, der 1922 zum Reichsaussenminister ernannt worden war und noch im selben Jahr von Mitgliedern der Organisation Consul – einer ultranationalistischen und antisemitischen Vereinigung aus dem völkischen Milieu – erschossen wurde, hatte Bloch noch erlebt.

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