Zu seiner Zeit ein Bild für Privaträume: Hans Bock d. Ä., Das Bad zu Leuk, 1597.
Zu seiner Zeit ein Bild für Privaträume: Hans Bock d. Ä., Das Bad zu Leuk, 1597. Kunstmuseum Basel

Flottes Badever­gnü­gen als Zeitkritik

Die Reformation brachte in Europa vielerorts strengere Sitten mit sich. Dem mussten sich auch die Künstler anpassen, wenn sie keine Aufträge verlieren wollten. Nicht allen gefiel dies – wie dieses Gemälde von Hans Bock im Basler Kunstmuseum verrät.

Barbara Basting

Barbara Basting

Barbara Basting war als Kulturredaktorin tätig und leitet derzeit das Ressort Bildende Kunst in der Kulturabteilung der Stadt Zürich.

Die frivole Badeszene hat zwar fast 500 Jahre auf dem Buckel, fesselt aber den Blick bei einem Rundgang durch die Sammlung des Basler Kunstmuseums unmittelbar. Ist das «Parship» im vordigitalen Zeitalter? Das Gemälde stammt von Hans Bock dem Älteren und entstand 1597, wie eine Inschrift auf der Mauer links unten verrät. Das Format des Gemäldes lässt einen ersten Rückschluss auf Auftraggeberschaft und Gebrauch zu: Die Genreszene ist ein typisches Kabinettstück für den privaten Kontext. Die Badenden sitzen in einer gemauerten Quellfassung, im Hintergrund ist eine alpine Landschaft angedeutet. Wie in einer Guckkastenbühne ist das Treiben im Wasser auf uns ausgerichtet. Die erhöht an einem Geländer platzierten, als einzige voll bekleideten Männer, sind Gegenfiguren für die betrachtende Person vor dem Bild und bestätigen, dass hier vor allem ein männlicher Blick bedient wird. Die beiden über das Geländer geworfenen überdimensionierten Kleidungsstücke wirken wie eine Einladung, sich rasch mal auszuziehen und ins Vergnügen zu stürzen.
Zwei Männer beobachten das Treiben im Wasser. Detail aus Das Bad zu Leuk.
Zwei Männer beobachten das Treiben im Wasser. Kunstmuseum Basel
begleitetÜbergriffige Musizierpraktiken.begleitetÜbergriffige Musizierpraktiken.Ein Mann spielt auf einer Flöte, während ihn ein Paar singend begleitet.
Übergriffige Musizierpraktiken. Kunstmuseum Basel
Auf einen privaten männlichen Auftraggeber lässt auch ein Vergleich mit einer anderen Badeszene schliessen, dem wesentlich bekannteren, etwa 50 Jahre früher entstandenen Gemälde «Jungbrunnen» von Lucas Cranach d.Ä. Cranach war Hofmaler in Sachsen und schuf seine Männerfantasie für die Gemächer eines Fürsten (sein Bild ging später an die Könige von Preussen über und hängt heute in der Berliner Gemäldegalerie). In Cranachs «Jungbrunnen» halten sich allerdings ausschliesslich Frauen auf. Sie steigen links vom Alter gezeichnet in das Wasser und entsteigen diesem auf der rechten Bildseite verjüngt, frisch und parat fürs fürstliche Séparée.
Lucas Cranach d. Ä., Der Jungbrunnen, 1546.
Lucas Cranach d. Ä., Der Jungbrunnen, 1546. Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin / Jörg P. Anders
Dass Hans Bock Cranachs Gemälde im Original kannte, ist unwahrscheinlich. Doch zirkulierten zu seiner Zeit etliche Darstellungen von Badeszenen in Form von Holzschnitten und Kupferstichen. Einige dieser Szenen hat die Historikerin Sarah-Maria Schober für ihre umfassende Studie «Gesellschaft im Exzess» zur Organisation der frühneuzeitlichen Gesellschaft in Basel zusammengetragen. Schober nimmt Hans Bocks Gemälde als Ausgangspunkt ihrer Untersuchungen. Badeszenen dienten vor allem der Illustration gelehrter Schriften zur Wirkung von Heilquellen. Entsprechende Bäder waren damals gerade bei der Basler Bevölkerung beliebt, zumal einige – etwa Bad Maulburg im nahen Wiesental – auch für Ärmere leicht erreichbar waren. Das mondänere Baden, Pfäfers und Leuk blieben den wohlhabenderen Schichten vorbehalten. Bock gibt darauf unübersehbare Hinweise: So nackt die Damen in seinem Bad auch sind, ihre schweren Goldketten haben fast alle anbehalten. Der Traktat «Von heilsamen Bädern» (1559) des Basler Mediziners Jakob Huggel zeigt auf dem Titelblatt eine Szenerie, die zwar verhaltener ist als jene von Bock, aber mit dem im Vordergrund auffällig mittig platzierten Krug und der Amorfigur auf dem Brunnen schon eine erste diskrete Anspielung auf die erhoffte Heilwirkung, nämlich die Steigerung der Fruchtbarkeit, enthält. Weitere Abbildungen im Buch sind weniger zurückhaltend: Da wird ungeniert geknutscht.
Jakob Huggels «Von heilsamen Bädern des Teutsche[n]lands» mit züchtigem Titelbild…
Jakob Huggels «Von heilsamen Bädern des Teutsche[n]lands» mit züchtigem Titelbild… Bayerische Staatsbibliothek
…und expliziteren Abbildung im Innenteil.
…und expliziteren Abbildung im Innenteil. Bayerische Staatsbibliothek
Noch Deftigeres bietet ein mehrteiliger Holzschnitt von Sebald Beham. Da wird unter anderem eine gigantische Klistierspritze auf den Hintern einer Frau gerichtet. Beham zeigt mit der anzüglichen Darstellung, welche Fantasien die Badekultur zum Blühen brachte. Indirekt belegt sein Werk, dass solche Abbildungen offenbar zumindest in den Kreisen, für die sie bestimmt waren, keinen Anstoss erregten.
Hans Sebald Beham, Jungbrunnen und Badehaus, 1536 (Ausschnitt).
Hans Sebald Beham, Jungbrunnen und Badehaus, 1536 (Ausschnitt). Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett
Ihren Ursprung hatten die erotischen Badefantasien in einem mittelalterlichen Körperbild, das von der antiken Säftelehre geprägt war. Ihr zufolge stellte man sich den Körper mit seinen diversen Öffnungen und Absonderungen als insgesamt porös vor, durchlässig für Flüssigkeiten aller Art. Dieses «fluide» Körperbild führte zu einem aus heutiger Sicht ungewöhnlichen Umgang mit den Heilquellen: Man sass oft bis zu acht Stunden darin. So erklärt sich, warum Hans Bock seine Badenden im Wasser rund um einen Tisch sitzen lässt, als handle es sich um einen gefluteten Salon. Um die Langeweile zu bekämpfen, beschäftigen sie sich mit Lesen, Musizieren, Weintrinken und Essen - und mit diversen Techtelmechteln.
Sebald Behams Holzschnitt von 1541 Der Narr im Frauenbad
Dass es beim Baden auch zu Übergriffen kam, zeigt Sebald Behams Holzschnitt von 1541 Der Narr im Frauenbad, gegen den sich die belästigten Frauen heftig zur Wehr setzen. Museen der Stadt Nürnberg, Kunstsammlungen
Dabei entsprach die Darstellung des Bads als Kontaktbörse mit erwartbarer Kettenreaktion durchaus einer Konvention. Schwänke über die geheimnisvollen Wirkstoffe der «Badenfahrt» und ähnlicher Kuren waren verbreitet. Nicht nur eine zuvor angeblich unfruchtbare Frau, sondern auch deren Magd und sogar ihr Hündchen seien aus Baden schwanger zurückgekehrt, bemerkte ein spitzzüngiger Zeitgenosse. Die «Wunderheilungen» verdankten sich weniger den wohltätigen Quellen als den amourösen Abenteuern im Kurambiente. Die auf Bocks Gemälde dargestellten diversen Kelche und auch weitere Gefässe, aus denen mal getrunken, mal ausgeschenkt wird, aber auch die dargereichte Traube in der Hand einer Frau dürften von seinen Zeitgenossen klar als Metaphern für Fruchtbarkeit und Sexualität verstanden worden sein. Schliesslich räumt das Motiv der hochschwangeren Frau im Vordergrund letzte Zweifel aus.
Schwangere Frau Hans Bocks Das Bad zu Leuk, 1597.
Schwangere Frau Hans Bocks Das Bad zu Leuk, 1597. Kunstmuseum Basel
Den unbekannten Auftraggeber für Bocks Feier sinnlicher Freuden darf man in der damaligen Basler Elite vermuten. Dafür gibt es einige Indizien. Der aus dem Elsass stammende Hans Bock (um 1550-1624) war ab 1572 Meister in der Basler Malerzunft Kleinmann und begann sich als Auftragsmaler des Basler Bürgertums zu etablieren. Daneben erhielt er auch öffentliche Aufträge. Heute gilt er als wichtigster Künstler in Basel nach der Ära von Hans Holbein. Ähnlich wie dieser schuf er Entwürfe für die in Basel beliebten Fassadenmalereien. Auch wirkte er als wissenschaftlicher Illustrator, namentlich für den Medizinprofessor Felix Platter. Für den berühmten Basler Rechtsgelehrten Basilius Amerbach (1533-1591) zeichnete er die damals begonnenen systematischen Ausgrabungen der römischen Ruinen in Augst (Kaiseraugst). Amerbach war zugleich einer der wichtigsten Gönner Bocks und liess sich von ihm porträtieren.
Hans Bock d. Ä., Bildnis des Basilius Amerbach, 1591.
Hans Bock d. Ä., Bildnis des Basilius Amerbach, 1591. Kunstmuseum Basel
Dieses Porträt gelangte zusammen mit dem berühmten Amerbach-Kabinett als Grundstock des Basler Kunstmuseums in dessen Besitz. Für das «Bad in Leuk» jedoch kommt Amerbach weniger infrage, denn das Kunstmuseum Basel kaufte das Werk erst 1872 an. Einen weiteren Hinweis ergibt ein Vergleich des «Bads» mit dem «Venustanz» von Hans Bock, wie ihn die Basler Historikerin Susanna Burghartz vorgenommen hat. Ihr zufolge gehört der «Venustanz» in den Kontext des «Bads» und ist ebenfalls nach 1590 entstanden. Bei diesem Vergleich fällt zunächst auf, dass Bock im «Bad zu Leuk» eine Figur aus seinem «Venustanz» zitiert: die sitzende Frau rechts im Vordergrund, die allerdings im «Venustanz» nicht als Schwangere dargestellt ist.
Hans Bock d. Ä., Venustanz, um 1590.
Hans Bock d. Ä., Venustanz, um 1590. Städel Museum
Vor allem lässt sich das ausgelassen opernhafte Szenario mit nackten Tänzerinnen, die teilweise obszöne Posen einnehmen, ähnlich wie Bocks «Bad» als gemalter Kommentar zu einer für den Künstler gravierenden Trendwende in der damaligen Basler Gesellschaft interpretieren. Basel war im 16. Jahrhundert eine Hochburg des humanistischen Diskurses. In den entsprechenden gesellschaftlichen Kreisen, in denen auch Bocks Auftraggeber verkehrten, bezog man sich auf die italienische Renaissance und deren Rückgriff auf antike Ideale. Eher spät machte sich aber auch in Basel die Reformation bemerkbar. So erliess der Basler Rat 1597, im Entstehungsjahr von Bocks Badeszene, auf Betreiben der reformierten Geistlichkeit ein strengeres Sittenmandat. Dieses richtete sich auch gegen die «Italienfreunde» und deren sinnenfreudige Ideale.
Titelblatt des Sittenmandats von Basel, 1597.
Titelblatt des Sittenmandats von Basel, 1597. Staatsarchiv Basel-Stadt
Als Auftragsmaler litt Bock unter dieser Entwicklung. Seine 1592 vom Rat genehmigten Entwürfe für Bemalungen des Basler Münsters mit Szenen aus der antiken Mythologie wurden vom reformierten Basler Kirchenvorsteher Johann Jacob Grynaeus als «Götzenbilder» kritisiert. Im «Venustanz» wie auch im «Bad zu Leuk» hat Bock – stellvertretend für die Kreise, denen die Sittenwächter zu streng waren und die sein Schaffen gefördert hatten – tüchtig Dampf abgelassen. Gesellige Orte und Anlässe wie das Bad und die Tanzveranstaltung, wo Individuen ausserhalb ihres alltäglichen Rahmens zusammentreffen, eigneten sich ideal, um die geltenden Codes sichtbar zu machen und zugleich zu testen. Selbst 300 Jahre später, nach dem Ankauf fürs Basler Kunstmuseum 1872, vermochte Bocks Genreszene die Basler noch in Wallung zu versetzen. Der subtile erotische Anspielungsreichtum des «Bad zu Leuk» führte dazu, dass das Gemälde nur noch im Büro des Konservators zu besichtigen war. So ist es auch ein Beleg dafür, wie sich die gesellschaftlichen Massstäbe gerade im Bezug auf die Darstellung von Nacktheit und Sexualität wandeln – und trägt insofern auch eine Perspektive zu aktuell in unserer Gesellschaft geführten Diskussionen bei.

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